Psycholytische Therapie

Unterstützung der Psychotherapie durch Pharmaka

Psychotherapie hat sich in methodisch hochwertigen Studien als wirksame Metho­de zur Behandlung der meisten psychischen Störungen erwiesen. Dabei versucht sie dort anzusetzen, wo die psychische Störung ihren Ursprung hat: in der Seele, den psychischen Fähigkeiten und der Beziehungswelt des Einzelnen. Gelingt Psycho­therapie, so verhilft sie neben einer Besserung von Krankheitssymptomen zu mehr Autonomie, Beziehungs-­ und Selbstgestaltungsfähigkeit.

Im Unterschied zu Psychopharmaka ist die Psychotherapie weniger auf eine Re­duktion der Symptome als auf eine Heilwirkung an den Ursachen der Erkrankung ausgerichtet.

Die psycholytische Behandlung wurde seit den 1950er­Jahren entwickelt. Psycholyse heißt wörtlich übersetzt: die Seele auflockernd/lösend. Sie ist eine Methode, welche die Wirksamkeit psychotherapeutischer Prozesse mit Medikamenten unterstützt. Diese Pharmaka werden jedoch nicht täglich eingenommen, sondern nur wenige Male im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie verabreicht. Die verwendeten Medikamente unterscheiden sich allerdings fundamental von gewöhnlichen Psycho­pharmaka. Sie aktivieren das psychische System, intensivieren das Gefühlserleben und erweitern das Bewusstsein.

Es lassen sich zwei Gruppen von Medikamenten unterscheiden, die in der psycholy­tischen Behandlung eingesetzt werden.

Entaktogene

Entaktogene wie MDMA erhöhen die Bereitschaft zur Kommunikation und steigern die Fähigkeit zur Introspektion. Die Aufmerksamkeit lässt sich leicht auf emotional bedeutsame Inhalte lenken. Unter geeigneten Bedingungen kommt es durch ihre Wirkungen zu einer ausgeprägten angstlösenden Wirkung mit Öffnung der Person gegenüber sich selbst und anderen, begleitet von vertieftem Gefühlserleben, Selbst­akzeptanz, Vertrauensempfinden und kognitiven Einsichten.

Sinneswahrnehmung und kognitive Fähigkeiten verändern sich dagegen kaum. In einer Art innerem Dialog können durch die angstreduzierende Wirkung und eine dadurch begünstigte Erwei­terung der Assoziationswelt neue Aspekte des eigenen Selbsts bzw. der eigenen Ge­schichte wahrgenommen und in neue Bedeutungszusammenhänge gestellt werden. Der Betreffende kann eine Fülle introspektiver Einsichten gewinnen. Deren Über­zeugungscharakter ist durch die ausgeprägte emotionale Beteiligung ausgespro­chen gut, so dass der therapeutische Prozess beträchtlich vertieft und beschleunigt wird. Durch die besonderen neurobiologischen Wirkungen (u.a. Deaktivierung der Amygdala, Stärkung des Frontalkortex) können traumatische Erfahrungen erheblich leichter reprozessiert und integriert werden.

Die Entaktogene ermöglichen es dem Patienten, den inneren Kern seiner selbst zu berühren und sich mit schmerzlichen emotionalen Aspekten auseinanderzusetzen, die sonst nur schwer oder gar nicht zu­gänglich sind. So schreibt eine Patientin: “Ganz weich und entspannt habe ich mich gefühlt; sehr aufmerksam, aber entspannt. Mein Herz wurde immer weiter und ich konnte an all meine Gefühle, an Bilder, auch an Ängste rankommen, sie spüren und sehen. Es ergibt sich ein ganz tiefer, ganz aufgeschlossener Zugang zu sich selbst.” Dazu kommen spezifische neurohormonelle Wirkungen, die Lernvorgänge begünsti­gen und eine nachhaltige Encodierung neuer “korrigierender” Erfahrungen von Ver­trauen, Selbstmitgefühl und Beziehung ermöglichen. Wie aktuelle Studien belegen, eröffnen Entaktogene in der Gruppen­ und Trauma­therapie neue Perspektiven; auch für bisher nicht behandelbare Patienten.

Halluzinogene

Halluzinogene wie LSD und Psilocybin verändern das Bewusstsein, intensivieren Gefühle und im therapeutischen Kontext aktiviert das Pharmakon unbewusste Konflikte und Ressourcen. Dabei können, im Sinne einer katalytischen Wir­kung, latente, sonst unbewusste innere Spannungssysteme auf Auflösung drängen und die mit ihnen verbundenen psychischen Inhalte ins Bewusstsein treten.

Nicht selten gelingt es dem Patienten, aus einer Beobachterperspektive (nach dem Prinzip eines Weitwinkelobjektives) weit auseinander liegende innerseelische Fakten wie Erinnerungen, Beziehungen, Gefühlserlebnisse und problematische charakterliche Einstellungen miteinander in Sinnzusammenhang zu bringen. Dabei sind mehrere Bewusstseinsbereiche gleichzeitig angesprochen, so dass eine breite Integration un­bewussten Materials gelingt. Wie eine Reihe von Arbeiten aus den 1960er­ und 70er­Jahren – aber auch methodisch gute neuere Studien – zeigen, können bei lebensbedrohlich Erkrankten und bei Alkoholikern über haltungs­- und persönlichkeitsverändernde Tiefenerfahrungen er­staunliche nachhaltige Zustandsverbesserungen erzielt werden.

Die psycholytische Behandlung ist kein eigenständiges Verfahren. Vielmehr sind die psycholytischen Sitzungen stets in eine konventionelle psychodynamische Psycho­therapie eingebunden. Während einer sich über ein bis drei Jahre erstreckenden psychotherapeutischen Behandlung (mit 1–2 wöchentlichen Sitzungen) werden gewöhnlich 3–7 psycholytische Sitzungen eingestreut. Die in den psycholytischen Sitzungen gemachten Erfahrungen werden in den konventionellen psychotherapeutischen Sitzungen besprochen und integriert.

Was die von Grawe postulierten vier allgemeinen Wirkfaktoren von Psychotherapie betrifft, kann in Bezug auf die psycholytische Therapie festgehalten werden: „Gera­de weil sich in der Erlebnissitzung nicht nur die Pathologie darstellt, sondern eben auch die Erlebnisfähigkeit, Gefühle der Liebe und der Bindung, also intensive positi­ve Affekte für den Patienten wieder erlebbar werden, kann er lernen, zur Problemlösung auf seine eigenen emotionalen Ressourcen zurückzugreifen und damit auch sein Selbstkonzept von seinen eigenen Kompetenzen positiv zu korrigieren.

Eben­so nutzt die psycholytische Therapie die Problemaktualisierung und Konfrontation, wenn sich in der Sitzung eben auch problematische Beziehungsmuster, Ängste, neu­rotische Symptombildungen und Abwehrmechanismen sehr plastisch und erlebnis­intensiv für den Patienten darstellen.” Die spezifische Wirkweise der Substanzen ermöglicht vertiefte, aufschließende korrigierende Neuerfahrungen im intrapsychi­schen und interpersonalen Bereich, was zu einer „neurobiologischen Umformung durch Neuerfahrung“ beiträgt. Dazu kommt die Klärungsperspektive, d.h. eine verbesserte Introspektion und Einsicht in die Psychogenese der Störungen und Probleme, in die Wurzeln der eigenen Lebensgeschichte, aber auch in die kreativen Potentiale sowie in die eigenen Erlebnis­ und Verhaltensmöglichkeiten.

Wie mehr als 600 wissenschaftliche Studien aus den 50er­ und 60er­Jahren zeigen, hat sich die psycholytische Behandlung in breiter Anwendung bewährt und unter medizinischer Supervision als sicher erwiesen.

Ein häufiges Missverständnis geht dahin zu vermuten, dass die Selbstkontrolle ge­schwächt und die psychische Abwehr des Patienten übergangen oder gar “durch­brochen” werde. Doch bei sachgemäßer Anwendung bleiben Selbstkontrolle und situative Orientierung praktisch vollständig erhalten. Die intrapsychischen Abwehr­mechanismen werden zwar gelockert, bleiben aber verfügbar. Der veränderte Zu­ stand bietet lediglich die Möglichkeit, diese Mechanismen beiseite zu lassen und sich selbst auf neue Weise kennenzulernen.

Aufgrund einer intensivierenden Wirkung des Pharmakons kann die therapeutische Beziehung überhöht und narzisstisch motivierten Phantasien und Handlungsweisen Vorschub geleistet werden. Nicht zuletzt deshalb stellt die psycholytische Methode besondere Anforderungen an die Qualifikation und persönliche Integrität von Ärz­tInnen bzw. therapeutischen Teams. Eine Anwendung kann naturgemäß nur durch sorgfältig ausgebildete ÄrztInnen bzw. PsychologInnen mit entsprechender Spezialqualifika­tion und unter professioneller Supervision erfolgen, wie sie etwa ein klinisches Setting ge­währleistet. Dabei muss sich die psycholytische und psychedelische Psychotherapie besonders mit ethischen Fragen auseinander setzen. Weitere Erläuterungen zur Haltung der SÄPT bezüglich einer Ethik des Gebrauchs psychoaktiver Substanzen in der Psychotherapie finden Sie hier.

Nicht alle Patienten sind für diese Behandlung geeignet. Besonders Ich­labile und in akuten psychischen Krisensituationen befindliche Patienten wie auch mit Psychosen belastete Patienten und einige körperliche Erkrankungen (z.B. Epilepsie, schwere Leber- und Nierenerkrankungen) stellen Kontraindikationen dar.

LSD und Psilocybin sind lange im Gebrauch und werden in der wissenschaftlichen Literatur als untoxisch bewertet. Neuere (von methodischen Fehlern befreite) Unter­suchungen fanden, dass die Einnahme von MDMA keine neurotoxischen Wirkungen beim Menschen hervorruft.

Die in der Schweiz zwischen 1988 und 1993 durchgeführten psycholytischen Behandlungen bestätigten die Anwendungssicherheit der Methode und beschrieben gute therapeutische Resultate. In den letzten Jahren wurden mit Beteiligung der SÄPT randomisierte und placebo­kontrollierte Doppelblindstudien durchgeführt, die signifikante Besserungen auch bei schwer erkrankten Patienten nachweisen konnten.

Da sich die Psychotherapie immer stärker als das zentrale Verfahren zur Behandlung eines breiten Spektrums von psychischen Störungen herauskristallisiert, könnte eine medikamentöse Intensivierung und Unterstützung von psychotherapeutischen Prozessen in Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnen.

 

Literatur

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Schweizerische Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie

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